Freitag, 8. Mai 2015

Lösch mir die Augen aus von Rainer Maria Rilke 1899


Gedicht Nummer vier stammt von Rainer Maria Rilke. Es ist ein sehr spezielles und verwirrendes Gedicht. Es macht einen besessen Eindruck, aber trotzdem formuliert er seine Verse sehr bedacht. Rilke beschreibt eine bedingungslose und zugleich besitzergreifende Liebe. Also wem wollen wir wirklich unser Herz schenken? Können wir wirklich einen Menschen so lieben, dass wir alles für ihn tun würden? Ich sehe in diesem beide Seiten. Die Klammernde und die Vorsichtige. Es gibt nichts was es nicht gibt.

Dieses Gedicht ist eher kurz und hat darum nur eine Strophe zu neun Versen. Ich erkenne klar, dass es ein Kreuzreim ist, aber mit einem Vers, der aus der Reihe tanzt (Brich mir die Arme ab, ich fasse dich). Wir haben hier ein unregelmässiges Metrum (Vers 1 und 2: Daktylus und Trochäus, Vers 3: Jambus) sowie eine unregelmässige Kadenz (Vers 1 und 3 männliche, Vers 2 weibliche).

Link

Hier ein Link zu einem schönen Video auf YouTube: https://www.youtube.com/watch?v=2Z4CniYi_ck

Lösch mir die Augen aus von Rainer Maria Rilke 1899
Epoche: Moderne

Lösch mir die Augen aus: ich kann dich sehn,
wirf mir die Ohren zu: ich kann dich hören,
und ohne Füsse kann ich zu dir gehn,
und ohne Mund noch kann ich dich beschwören.
Brich mir die Arme ab, ich fasse dich
mit meinem Herzen wie mit einer Hand,
halt mir das Herz zu, und mein Hirn wird schlagen,
und wirfst du in mein Hirn den Brand,
so werd ich dich auf meinem Blute tragen.

3 Kommentare:

  1. Was für ein wunderschönes, tief bewegendes Gedicht. Immer schon mochte ich die Poesie von Rilke, dieses jedoch ist einfach wunderschön

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  2. Eine phantastische Abnorm von zu sehr lieben. Das Adverb der Angst wird mit jedem Satz deutlicher.Angst , am Ende steht der Tod abgöttischer Liebe.Wobei dieser stillschweigend hingenommen,fast beschworen wird. Einfach gesagt ein Gedicht über grosse Gefühle die nicht erwiedert werden.

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  3. Manchmal kommt das richtige Gedicht zur rechten Zeit. Danke fürs Teilen und Deine Gedanken... Und es ist tröstlich zu sehen, dass sich auch die ganz Großen mit solchen Gefühlen beschäftigt und gequält haben... Rilke fasst in Worte, was ich in diesem Moment fühlen, aber nicht selbst sagen kann.

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